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19 Changemanagement

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Theorie

Veränderung im Unternehmen: ein Muss mit grossen Herausforderungen

Veränderungen im menschlichen Leben sind eigentlich ganz normal und alltäglich. Neuerungen und Entwicklungen gehören zu unserem Leben. Teilweise streben wir sie aktiv an, teilweise nehmen wir sie einfach hin, mehr oder weniger verärgert oder überrascht. Neugierde, Experimentierfreude und die Suche nach Abwechslung sind Gründe, warum wir Menschen uns aktiv auf die Suche nach Veränderung machen.

In Unternehmen erhalten Veränderungen besondere Aufmerksamkeit. Ihre Ankündigung ruft häufig Stirnrunzeln hervor. In der Regel werden aufwendige Vorkehrungen getroffen, dass die Veränderungen tatsächlich akzeptiert werden. Denn in Unternehmen ist Veränderung gerade nicht der Normalfall. Wenn Veränderungsbemühungen in Unternehmen scheitern, dann ist niemand wirklich überrascht. Skepsis und Zurückhaltung der Unternehmensmitglieder gegenüber den Veränderungen scheinen uns üblich, vielleicht sogar ‚normal’.

In Unternehmen verändern sich Menschen offenbar nicht so einfach wie in ihrem Leben ausserhalb der Arbeitswelt. Der grosse Unterschied besteht darin, dass Menschen Entwicklungen in ihrem Leben dann selbstständig und engagiert vorantreiben, wenn sie sich selbst für diese Entwicklungen entschieden haben. Im Unternehmen hingegen sind es in der Regel andere, die über die Notwendigkeit einer Entwicklung entschieden haben. Dieser Umstand widerspricht einem tiefsitzenden Motiv der allermeisten Menschen: dem Motiv der Autonomie.

Im Unternehmen müssen die Mitglieder für Veränderungen erst gewonnen werden. Der Wert der Routine, also der Wert der Vertrautheit mit Abläufen, Kontaktpartnern, Kunden etc. darf nicht unterschätzt werden. Aus dieser Routine speisen sich ja auch einige der grössten Vorteile von Unternehmen: Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und Effizienz setzen die Nicht-Veränderung voraus. Kein Wunder also, dass die Ankündigung einer Veränderung Unternehmen in Aufruhr zu bringen vermag.

Veränderung in Unternehmen verunsichert

Warum scheitern Veränderungsprozesse so häufig? Offensichtlich weil der Faktor Mensch vernachlässigt wird. Denn das vorgegebene Tempo der Veränderungen überfordert viele Mitarbeitende. Die Unternehmenskultur scheint nicht vorbereitet auf Veränderung. Ein rein technisch und/oder rational ausgerichtetes Vorgehen vernachlässigt, dass die Unternehmensmitglieder auch emotional angesprochen sein wollen, dass die Veränderungen von allen (oder zumindest von einer Mehrheit) als sinnvoll erachtet und später gelebt werden müssen.

Veränderungen widersprechen dem Bedürfnis nach Sicherheit. Der eigene Erfahrungsvorsprung geht verloren und damit die Erfolgsgewissheit der etablierten Problemlösungen. Die Aussicht, neue fachliche Qualifikationen erwerben zu müssen, ist nicht für alle attraktiv. Zudem wird das etablierte Status- und Machtgefüge bedroht, bestehende Privilegien werden fraglich. Möglicherweise müssen sogar die beruflichen Perspektiven neu definiert werden.  Die Situation wird erst dann erträglich, wenn glaubwürdige und attraktive Ideen und Visionen für die Zukunft bestehen.

Veränderung im Unternehmen: emotionale Schwankungen und Systemleistung

Die Verunsicherung der Mitglieder eines Unternehmens spiegelt sich in den emotionalen Schwankungen, die während eines Veränderungsprozesses zu beobachten sind. Diese Schwankungen stehen in der Regel in direktem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden und der Produktivität des Arbeitssystems. Die u.a. Abbildung verdeutlicht den typischen Verlauf.

Abbildung: Emotionale Schwankungen in Veränderungsprozessen

 

Praxis

Verunsicherung reduzieren

Veränderungsprozesse sind mit Unsicherheit verbunden; diese Unsicherheit lässt sich nicht vollständig ausschalten. Andererseits sind Veränderungsprozesse eine Gelegenheit, die Zukunft eines Arbeitssystems (Organisationseinheit, Strukturen, Prozesse, Instrumente etc.) zu gestalten und zu optimieren. Für Mitarbeitende reduziert sich die Unsicherheit erheblich, wenn der Veränderungsprozess mit einem partizipativen Vorgehen vorangetrieben wird. Dann können eigene Vorstellungen eingebracht werden. Es versteht sich von selbst, dass die Beteiligung nicht als Alibi angelegt sein darf, sondern eine tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme anzubieten ist.

Führung in der Veränderung: Skeptiker gewinnen, Gleichgesinnte halten

Die Haltung von Mitarbeitenden zu einer angekündigten Veränderung wird wesentlich bestimmt von zwei Faktoren

  • von der Übereinstimmung mit den inhaltlichen Zielen der Veränderung
  • vom Vertrauen in die Unternehmensleitung und in die direkten Führungspersonen

Daraus ergeben sich bei den Unternehmensmitgliedern (idealtypisch gesehen) fünf typische Haltungen. Für Führungspersonen, die eine Veränderung vorwärts treiben wollen, stellt sich die Frage, wie die Vertreter dieser Haltungen gewonnen werden können. Die nachstehende Abbildung gibt darüber Auskunft.

Abbildung: Wie kann man Personen/Gruppen für eine Veränderung gewinnen?

 

Der Drei-Schritt der Veränderung: Themen und Wege

Veränderungsprozesse in Unternehmen stossen also auf Zurückhaltung der Unternehmensmitglieder. Die Zurückhaltung findet sich auf sämtlichen hierarchischen Ebenen. Wenn der Veränderungsprozess Erfolg haben soll, muss dieses Hindernis angemessen berücksichtigt werden. Das System muss deshalb aus seinem eingespielten Zustand herausgeholt werden (auftauen), bevor es verändert werden kann. Zur Sicherstellung der effizienten Funktionsfähigkeit muss das System wieder in einen Routine-Zustand gebracht werden.

In den Begriffen der Organisationsentwicklung spricht man deshalb von einem Drei-Schritt, der durchlaufen werden muss:

  • Auftauen (unfreeze)
  • Bewegen / Verändern (move)
  • Konsolidieren (freeze)

Vor dem ‚Auftauen’ ist natürlich ein Vor-Schritt durchzuführen, in welchem der Veränderungsbedarf identifiziert und definiert werden muss. Keiner dieser Schritte kann   übersprungen werden. In den einzelnen Phasen sind unterschiedliche Fragen zu bearbeiten; entsprechend kommen unterschiedliche Instrumente zur Anwendung. Die u.a. Tabelle gibt dazu einen Eindruck:

Themen und Schwerpunkte Wege und Instrumente
0.

Analyse, Diagnose, Planung

 

Anstehende Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, Projekt einleiten

 

Gespräche

Vorgehensvorschläge

Projektantrag an die Geschäftsleitung

Promotoren gewinnen

1. 

Auftauen

(unfreeze)

Betroffene analysieren die Situation, Beratende unterstützen, erste Ansatzpunkte der Veränderung werden formuliert

 

Workshops, Interviews

Selbstdiagnose

Diagnose-Feedback

2.

Verändern

(move)

Der angestrebte Sollzustand wird erarbeitet, Veränderungsziele werden abgeleitet, Konzepte und Pläne werden erarbeitet

 

Workshops, Gespräche

Arbeitsteams

Führungskreise

3.

Konsolidieren, Evaluieren

(freeze)

Die vereinbarten Massnahmen werden realisiert, kontrolliert und ggfs. nachgebessert Umsetzungsteams

Einsatz von Verantwortlichen

Training

Ist-Soll-Vergleiche

Die folgende Abbildung veranschaulicht die Dynamik eines Veränderungsprozesses. Darin wird auch deutlich, dass es in einer Phase der Veränderung zu überzogenen Erwartungen kommen kann („Alles wird besser!“). Hier besteht die Aufgabe der Führungskraft in einem dosierten ‚Bremsen’, um den unvermeidlichen Enttäuschungen vorzubeugen.


Abbildung: Der Drei Schritt der Veränderung

In der Checkliste «Führung von Veränderung» sind wesentliche Aspekte zusammengefasst.

Vertiefung

Für die Beschreibung, aber auch die Analyse, Interpretation und Deutung von Veränderungen in Unternehmen wird oft die Metapher eines Weges durch eine 4-Zimmer-Wohnung genutzt:

Der Veränderungsprozess als Bildergeschichte

Abbildung: Die 4-Zimmer-Wohnung der Veränderung

Zimmer 1: Die Mitarbeitenden befinden sich in ihrer gewohnten Umgebung: sie arbeiten routiniert und kompetent in ihren vertrauten Strukturen; das System befindet sich in einem berechenbaren Zustand, der Preis dafür ist eine gewisse Trägheit. Das System ist sozusagen eingeschwungen. Aufgrund von Entwicklungen in der Umwelt kommt es zu neuen Anforderungen, eine Veränderung kündigt sich an, und die Mitarbeitenden werden, ohne gefragt zu sein, in das nächste Zimmer gedrängt.

Zimmer 2: Das Unbekannte und noch Unklare lässt Verunsicherung und Angst entstehen, diverse Formen von Widerstand werden produziert. Konsequenz der Leitung signalisiert, dass das Neue unausweichlich ist. Die Mitarbeitenden stehen vor der Wahl, das System durch einen Nebenraum zu verlassen (d.h. Kündigung) oder aber sich mit der Veränderung näher zu befassen und zu befreunden.

Zimmer 3: Durch die Beschäftigung mit dem Neuen werden auch die Gründe für die Veränderung klarer: es sind die Unzulänglichkeiten des Unternehmens und seine Probleme, die überwunden werden sollen. Die Konfrontation mit dem Neuen erfordert eine Entscheidung: sich auf das Neue einlassen oder das System verlassen. Wenn die Entscheidung zugunsten des Verbleibs erfolgt, begeben sich die Mitarbeitenden in das nächste Zimmer.

Zimmer 4: Haben sich die Mitarbeitenden erst einmal auf die Veränderung eingelassen, entsteht die Bereitschaft sich aktiv und engagiert mit den veränderten Anforderungen zu befassen. Sind die erforderlichen Qualifikationen erworben, kann sich auch wieder Zufriedenheit einstellen, allerdings auf einem neuen Niveau. Natürlich etablieren sich auch hier Gewöhnungs- und Routineeffekte, die ja eine Zeitlang durchaus effizienzförderlich sind.

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