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7 Was ist der ideale Führungsstil?

Die Suche nach dem idealen Führungsstil

Nur wenige Themen sind so intensiv untersucht worden wie die Frage nach dem idealen Führungsstil. Die Ergebnisse sind enttäuschend. Heute wird diese Frage nicht mehr untersucht, weil sich Wissenschaft und Praxis einig sind, dass es den idealen Führungsstil nicht gibt und nicht geben kann. Es ist noch nicht einmal möglich, für eine bestimmte Situation detailliert anzugeben, wie hier und jetzt konkret zu führen sei.
Es ist und bleibt entscheidend, wie sich die beteiligten Menschen, Führende und Geführte miteinander darüber verständigen, wie sie die Führungsbeziehung gestalten. wie sie in einer bestimmten Situation eine gemeinsame Aufgabe bearbeiten wollen und können; der entscheidende Bezugspunkt dieser Verständigung ist die Kultur und die Zielvorgaben des Unternehmens.

Verlässliche Erkenntnisse

Zweierlei hat die Forschung dennoch gezeigt:

Erstens: es sind einige grundlegende Werthaltungen der Führungsperson anderen Menschen gegenüber, die den Aufbau einer erfolgreichen Führungsbeziehung wahrscheinlicher machen.

Zweitens: es sind bestimmte Haltungen der Aufgabe gegenüber, die es wahrscheinlicher machen, dass eine Führungsperson bei den Mitarbeitenden Akzeptanz gewinnt und ihre Kooperation bewirkt.

Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht; die einzelnen Haltungen werden anschliessend etwas detaillierter besprochen.

Erfolgreiche Führung …

… setzt Werthaltungen der Führungspersonen gegenüber Menschen voraus … setzt Haltungen der Führungspersonen gegenüber der Aufgabe voraus
  • Wertschätzung
  •  Leistungsbereitschaft
  • Vertrauen
  •  Klarheit über angestrebtes Ziel
  • Verbindlichkeit
  •  Hartnäckigkeit und Konfliktfähigkeit
  • Authentizität
  •  Kommunikationsfreude
  • Orientierung auf die Stärken der Mitarbeitenden

Werthaltungen erfolgreicher Führungspersonen gegenüber Menschen

Erfolgreiche Führungskräfte sprechen anderen Menschen grundsätzlich eine unantastbare Würde der Person zu. Sie sehen es als ein ethisches Gebot, auf Fairness und Gleichberechtigung basierende Beziehungsangebote zu machen. Wertschätzung enthält auch den Respekt vor der Andersartigkeit des Anderen.
Aussagen oder Haltungen, die eine andere Person als Mensch abwertet, sind tabu. Das heisst nicht, dass auf sachliche Kritik verzichtet wird, im Gegenteil, denn das würde der Ressourcenorientierung widersprechen. Für die Gestaltung einer Beziehung ist es wichtig, dass diese Wertschätzung auch ausgesprochen wird.

Vertrauen

Erfolgreiche Führungskräfte gehen davon aus, dass ihre Mitarbeitenden auch dann wie abgesprochen handeln, wenn keine unmittelbare Kontrollmöglichkeit besteht. Sie unterstellen also, dass kein Missbrauch von Wissen, kein Ausnützen von Freiräumen, keine Reduktion der Leistung usw. stattfindet. Vertrauen wird immer dann auf die (mitunter harte) Probe gestellt, wenn eine Person unter sozialen oder materiellen Druck gerät, von den geltenden Normen abzuweichen. Der Griff zu einer straffen und direkten Führung und zur Kontrolle der vorschriftskonformen Aufgabenerfüllung ist für die Mitarbeitenden irritierend und will gut begründet sein. Eine vertrauensvolle Beziehung zu den Mitarbeitenden ist natürlich immer in Gefahr, enttäuscht zu werden – dieses Risiko ist unvermeidlich.
Erfolgreiche Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch grosses (aber kein blindes) Vertrauen in das Unternehmen haben; d.h. sie sind überzeugt, dass die Regeln und Normen im Unternehmen gerecht und fair sind und dass die oberste Ebene befähigt ist, sinnvolle Strategien zu erarbeiten.

Verbindlichkeit

Erfolgreiche Führungskräfte stehen zu ihrer Führungsposition. Das heisst, sie halten ihren Führungsanspruch nicht zurück und sind bereit, dafür auch eine exponierte Position einzunehmen. Sie artikulieren konsequent ihre Erwartungen gegenüber den Mitarbeitenden und verpflichten sich selbst auf den Teil, den sie selbst zur Zielerreichung beitragen. Sie überprüfen zusammen, ob ein gemeinsames Verständnis erreicht worden ist. Und sie überprüfen, ob die Absprachen auch eingehalten worden sind.
Sie sind damit einverstanden, dass sie genau beobachtet werden, ob sie ihre Führungsfunktion angemessen erfüllen; und sie sind damit einverstanden, dass – im Falle einer negativen Abweichung – die Einhaltung der Absprachen eingefordert wird. Dass sie dabei in ihrer Rolle in Frage gestellt werden, nehmen sie in Kauf.

Authentizität

Erfolgreiche Führungskräfte stehen zu dem was sie tun; sie können dazu stehen, weil ihre Rolle und die Ziele des Unternehmens nicht in Konflikt mit der eigenen Weltanschauung stehen. Auch wenn sie ab und zu unangenehme Entscheidungen treffen müssen und es nicht allen Beteiligten dauernd recht machen können. Im Grundsatz können sie als Person hinter dem Unternehmen und ihrer Position stehen und sie sind deshalb einverstanden, dass damit unangenehme Aufgaben zu erledigen sind; sie müssen sich deshalb nicht verbiegen.
Das gilt auch für den Kontakt mit den Mitarbeitenden: sie begegnen ihnen zwar in der Rolle der Führungsperson, aber sie haben diese freiwillig gewählt, weil diese Rolle mit ihrer Persönlichkeit verträglich ist. Das ermöglicht ihnen, die Rolle mit ihrer Persönlichkeit zu „färben“, also der Führungsbeziehung ihren ganz persönlichen Stil aufzuprägen. Damit gewinnt das Auftreten die Qualität der „Echtheit“.

Orientierung auf die Stärken der Mitarbeitenden

Erfolgreiche Führungskräfte konzentrieren sich auf die Ressourcen der Mitarbeitenden. Sie suchen die Potentiale und sorgen dafür, dass diese zugunsten der Zielerreichung produktiv zum Einsatz kommen. Erfolgreiche Führungskräfte sind davon überzeugt, dass fast in jedem Menschen ungenutzte Potentiale vorhanden sind, die geweckt und entwickelt werden können. Sie sehen es als ihren Auftrag, dafür Bedingungen zu schaffen, dass dieser Entwicklungsprozess stattfinden kann.
Natürlich erkennen sie die Defizite und Schwächen, die bei allen Menschen vorhanden sind. Sofern es für die Aufgabenerledigung unumgänglich ist, versuchen sie diese auszugleichen; allerdings haben sie nicht den Ehrgeiz, aus jedem Mitarbeitenden einen olympiareifen Zehnkämpfer zu machen.

Haltungen erfolgreicher Führungspersonen gegenüber ihrer Aufgabe

Leistungsbereitschaft

Erfolgreiche Führungskräfte haben Freude an Leistung, sowohl an der eigenen als auch an der Leistung ihrer Mitarbeitenden. Sie selbst setzen sich mit Energie für die vereinbarten Ziele ein und scheuen auch vor Extraeinsatz nicht zurück. Dabei achten sie konsequent auf den langfristigen Erhalt ihrer Leistungsfähigkeit, d.h. sie sind bewusst und aktiv besorgt für Entspannung und Ausgleich für ihre psychische und physische Fitness. Es ist ihnen klar, dass ein „Leben für die Arbeit“ kein gutes Vorbild ist.

Klarheit über angestrebtes Ziel

Erfolgreiche Führungskräfte sind sich darüber klar, was sie wollen. Sie haben eine Vorstellung über eine wünschbare Zukunft entwickelt und sie haben diese Vorstellung mit Zielen konkretisiert. Ihr fachlicher Rucksack versetzt sie in die Lage, erreichbare Ziele und gangbare Wege zu formulieren. Ihre realistische Selbsteinschätzung versetzt sie in die Lage, Defizite und Unklarheiten hinsichtlich der zu setzenden Ziele zu identifizieren; ihr Wunsch nach Sicherheit veranlasst sie, die notwendigen Abklärungen zu treffen.

Hartnäckigkeit und Konfliktfähigkeit

Erfolgreiche Führungskräfte lassen sich nicht von Rückschlägen entmutigen, sondern verfolgen die vereinbarten Ziele mit Energie weiter. Dabei scheuen sie sich nicht, auch Unangenehmes anzupacken oder frühzeitig auf anbahnende Konflikte zuzugehen. Es ist ihnen klar, dass dies zuweilen einen klaren Auftritt erfordert und eine eindeutige Positionierung nicht auf allseitige Freude stösst. Sie sind es sich selbst und ihrer Integrität schuldig; das ermöglicht ihnen, ihre Haltung zu jeder Zeit gegenüber Mitarbeitenden und gegenüber dem Unternehmen vertreten zu können.

Kommunikationsfreude

Erfolgreiche Führungskräfte kommunizieren viel und gerne. Sie sprechen präzise und klar; sie achten darauf, dass ihre Botschaft ankommt, indem sie adressatengerecht sprechen und sich dennoch versichern, was das Gegenüber verstanden hat. Das heisst keineswegs, dass erfolgreiche Führungskräfte ständig reden; sie sind im Gegenteil ausgesprochen gute Zuhörer/innen. Gutes Zuhören heisst: Bemühen um Verstehen, Nachfragen, Fragen ermuntern, Fragen beantworten.

 

Merke:

Diese Werthaltungen gegenüber Menschen garantieren den Führungserfolg noch nicht.

Diese Haltungen gegenüber der Aufgabe sichern noch nicht Akzeptanz, Kooperationsbereitschaft und Motiviertheit der Mitarbeitenden.

Aber ohne sie sind die Chancen auf erfolgreiche Führungsbeziehungen ziemlich gering.

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