17 Führung und Motivation
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Theorie
Organisationen sind nur dann effizient, wenn die Mitglieder die ihnen zugeteilten Aufgaben tatsächlich erfüllen. Dabei müssen sie eigene Interessen, die der Aufgabenerfüllung im Wege stehen würden, zurückstellen. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Mitarbeitenden (und Vorgesetzten) während der gesamten Arbeitszeit den unstillbaren Wunsch verspüren, genau diejenigen Aufgaben auszuführen, die von ihnen erwartet werden.
Vorgesetzte sind deshalb daran interessiert, dass die Aufgaben und die Arbeitsbedingungen so gestaltet sind, dass nicht nur die unternehmensseitig geforderte Leistung und Qualität sichergestellt ist, sondern dass auch die Motive der Mitarbeitenden berücksichtig werden – soweit das möglich ist.
Was sind Motive?
Zu unterscheiden sind Motive von Bedürfnissen:
Motive
Motive sind durch einen erwünschten Zielzustand gekennzeichnet: etwas Wünschenswertes soll erreicht werden. Das Nicht-Erreichen dieses Zieles ist für einen Mensch nicht lebensbedrohlich, Menschen bleiben funktionsfähig (im Unterschied zu nicht erfüllten Bedürfnissen), allerdings werden sie bei langdauernder Missachtung ihrer Motive unzufrieden, verärgert, traurig, ungeduldig, uninteressiert etc.; sie sind „demotiviert“. Motive sind psychische Kräfte, die uns antreiben, die uns in Richtung auf Etwas in Bewegung setzen. Motive aktivieren einen Zustand, der mit ‚Motivation’ bezeichnet wird. Es sind ganz verschiedene Motive, die einen Menschen antreiben können.
Motive werden im Laufe der individuellen Entwicklung erworben; sie verändern sich lebenslang. Weil jede individuelle Biographie einzigartig ist, sind die Motive eines Menschen letztlich ebenfalls einzigartig.
Dennoch gibt es eine Reihe von Motiven, deren Existenz bei den meisten Menschen unterstellt werden kann. Wenn Führungskräfte diese Motive ansprechen, gelingt es ihnen in der Regel, Interesse und Engagement (d.h. die Motiviertheit) ihrer Mitarbeitenden zu wecken.
Bedürfnisse
Bedürfnisse sind Ausdruck eines körperlichen Mangels oder Ungleichgewichtes. Menschen empfinden sie infolge eines „Fehlens von etwas“. Beispiel: Schlafentzug führt zu einem alles dominierenden Bedürfnis, das wir mit Schlafbedürfnis bezeichnen. Durst, Hunger etc. sind weitere, allen bekannte Beispiele für Bedürfnisse. Bedürfnisse sind körperlich bedingt, sie sind angeboren, ihre Ausprägung ist weitgehend genetisch bedingt, d.h. sie sind nur in relativ engen Grenzen durch Wille oder Training beeinflussbar.
Praxis
Motive und Arbeitswelt: Was heute bekannt ist
- Die Konstellation der Motive variiert zwischen den Menschen erheblich.
- Im Laufe der Zeit verändert sich beim einzelnen Menschen die Konstellation seiner Motive.
- Der Versuch, die Motivation mit materiellen Anreizen zu wecken, funktioniert (sogen. extrinsische Motivation). Materielle Anreize führen zu einem Motivationsschub. Dieser Schub lässt mittel- bis langfristig allerdings nach.
- Wenn es gelingt, Aufgaben anzubieten, die Menschen Möglichkeiten anbieten, eigene Motive zu befriedigen, dann entwickelt die Aufgabe selbst eine motivierende Kraft (sogen. intrinsische Motivation).
- Für die allermeisten Menschen sind in der Arbeitswelt fünf Motive wichtig:
- Motiv 1 „Funktionslust“
- Motiv 2 „Soziale Zugehörigkeit“
- Motiv 3 „Lernen und Entwicklung“
- Motiv 4 „Kontrollmotiv“
- Motiv 5 „Sinnvolle und ganzheitliche Handlung“
Vertiefung
Das Motiv 1: „Funktionslust“
Wie zeigt sich das Motiv? Für die meisten Menschen ist es ein Motiv, vorhandenes Können und Wissen auch tatsächlich anzuwenden und zu nutzen. Im Laufe eines (Arbeits-)Lebens werden umfangreiche berufliche Qualifikationen aufgebaut und Berufserfahrungen erworben. Ebenso verdienen es viele Lebenserfahrungen, gewinnbringend in die Arbeitswelt eingebracht zu werden. Die allermeisten Menschen sind daran interessiert, anderen Menschen zu zeigen, was sie diesbezüglich können. Es erfüllt Menschen mit Stolz, sich selbst dabei zu beobachten, wie sich ihr Wissen bewährt und wie ihre Erfahrungen zum Ziel führen.
Im Alltag können wir die Existenz dieses Motivs ebenfalls beobachten, etwa wenn Menschen in ihrer Freizeit immer und immer wieder das Gleiche tun (und dabei oft auch nur geringfügige Abwechslung suchen; vgl. Motiv 5): Joggen, Skifahren, Klettern, Tanzen, Musizieren, Karten spielen, Sudoku und Kreuzworträtsel lösen usw. Besonders unverfälscht beobachten können wir diese Funktionslust bei Kleinkindern, die ihre neu erworbenen Fertigkeiten (Laufen, Singen, Pfeifen etc.) unermüdlich wiederholen. Viele Menschen geniessen das Ausleben ihrer Funktionslust so sehr, dass sie dafür auch beträchtliche Summen zu zahlen bereit sind.
Beobachtet man das Ausleben der Funktionslust von aussen, dann zeigt sich das als unermüdliches, konzentriertes Wiederholen von gleichen oder sehr ähnlichen Handlungen; manchmal macht es den Anschein, dass Menschen Freude an der Wiederholung, an der Routine haben.
Was bedeutet das für die Führung? Die meisten Mitarbeitenden schätzen es sehr, wenn die zu erfüllenden Aufgaben Anforderungen haben, die den mitgebrachten Qualifikationen entsprechen. Überqualifiziert zu sein, d.h. Wissen und Können zu haben, das nicht gefragt ist oder – noch schlimmer – nicht eingesetzt werden darf, ist für viele Menschen schwer erträglich und führt zum Abbau von Engagement und Rückzug. Die Nachfrage nach dem Wissen und Können von Mitarbeitenden lässt das Gefühl des Gebraucht-Werdens entstehen, führt zu Berufsstolz und Verantwortungsgefühl für das Ergebnis des eigenen Arbeitens.
Was ist der Zusatznutzen? Anforderungsgerechte Aufgaben sorgen durch die Trainingseffekte für den Erhalt der Qualifikation und zur Aufrechterhaltung von beruflichem Selbstverständnis.
Das Motiv 2: Soziale Zugehörigkeit
Wie zeigt sich das Motiv? Menschen haben im Allgemeinen das tief verwurzelte Motiv, mit anderen Menschen zusammen zu sein, zu kommunizieren und zu kooperieren. Die Zugehörigkeit zu einer relativ konstanten Gruppe von Menschen vermittelt Menschen die Überzeugung ein Teil von verlässlichen Beziehungen zu sein, innerhalb der ihnen eine Bedeutung zukommt. Menschen beziehen den grössten Teil ihrer sozialen Identität aus den Gruppen, denen sie längerfristig zugehören. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe gewinnt dadurch einen Wert für sich; eine angekündigte Veränderung ist bedrohlich und wird meistens abgelehnt.
Was bedeutet das für die Führung? Führungskräfte können diesem Motiv entgegenkommen, wenn sie Aufgaben und räumliche Verhältnisse anbieten, die Möglichkeiten bieten, mit anderen zu interagieren und zu kooperieren. Damit ist nicht der dauernde Zwang zur Zusammenarbeit gemeint; dies kann Mitarbeitende auch überfordern. Wenn die Häufigkeit und Intensität der Kooperation selbst beeinflusst werden kann, dann können die Mitarbeitenden die individuelle Unterschiedlichkeit ihrer Motive selbst regulieren.
Was ist der Zusatznutzen? Das Gewähren von Interaktions- und Kooperationsmöglichkeiten hat eine Reihe von Nebeneffekten: soziale Kompetenz kann aufgebaut und trainiert werden, wenn Mitarbeitende sich über Qualitätsvorgaben, Problemlösestrategien und Ferienpläne selbst einigen dürfen und müssen, wenn Interessen ausgehandelt und Kompromisse geschlossen werden. Schliesslich ist soziale Unterstützung, also die Möglichkeit, im Bedarfsfall auf Kollegen zurückgreifen zu können, eines der wirksamsten Mittel, Stress vorzubeugen oder wenigstens rascher die Stressfolgen abzubauen. Bekanntestes Beispiel: Das gemeinsame Besprechen des Verhaltens des eigenen Chefs hat sehr entlastende Wirkung – solange dieser es nicht gehört hat.
Das Motiv 3: Wachstumsmotiv
Wie zeigt sich das Motiv? Menschen beobachten sich permanent selbst. Ein wesentliches Augenmerk ist dabei auf ihr eigenes Handlungsrepertoire gerichtet. Bei der Beurteilung ihres eigenen Handelns kommt nicht nur das Motiv 1
zum Zug, sondern auch ein weiteres: Menschen verfolgen im Allgemeinen das Ziel, bei sich selbst Wachstum und Fortschritt bewirken und feststellen zu können. Die Ausweitung und Verbesserung des eigenen Repertoires ist für die meisten Menschen ein wünschenswertes Ergebnis: „mehr“ und „besser“ ist eine befriedigende Bilanz. Die Intensität, mit der Menschen die Realisierung dieses Motivs verfolgen, ist besonders abhängig vom „Schicksal“, das dieses Motiv im Laufe der Zeit erfahren hat: je seltener Menschen in der Vergangenheit bei sich Wachstum und Entwicklung feststellen konnten, desto weniger nachdrücklich werden sie solche Erfahrungen suchen; je häufiger die Erfolge beim Bemühen um Wachstum, desto hartnäckiger und intensiver wird Suche nach Lernerfahrungen betrieben. Dieses Motiv ist also anfällig, verschüttet und unterdrückt zu werden; andererseits kann es auch durch gute Erfahrungen wieder belebt werden.
Was bedeutet das für die Führung? Führungskräfte können dieses Motiv ansprechen, indem sie in der Arbeit selbst Möglichkeiten für neue Erfahrungen schaffen. Hier geht es also darum, mit den Aufgaben ein Angebot von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Das bedeutet, dass die übertragenen Aufgaben sich eben nicht in Wiederholung und Routine erschöpfen (vgl. Motiv 1), sondern Abwechslung enthalten, immer wieder Probleme zu lösen und neuartige Anforderungen zu bewältigen sind.
Was ist der Zusatznutzen? Durch das Angebot geeigneter Aufgaben wird durch die Arbeit selbst Wissenserwerb und Qualifikationsaufbau gefördert, „learning on the job“ also. Diese Form des Lernens ist nachweislich viel effektiver als Lernen in schulähnlichen Fachkursen; weil das Lernen in der Alltagssituation stattfindet, erübrigt sich die Transferfrage. Zudem wird nebenbei das Problemlöseverhalten trainiert.
Das Motiv 4: Kontrollmotiv
Wie zeigt sich das Motiv? Die Arbeitsbeziehungen in Unternehmen sind unter anderem durch die Hierarchie geprägt: Vorgesetzte haben das Recht und die Pflicht, ihren Mitarbeitenden Vorgaben zu machen und Anweisungen zu erteilen; ohne diese Befugnis verliefe das Handeln in Organisationen chaotisch. Wenn die hierarchische Arbeitsbeziehung als ein strikt autoritäres Befehlsverhältnis realisiert wird, kommt dies in Konflikt mit einem Motiv der meisten Menschen: das Kontrollmotiv. Damit ist das Motiv gemeint, dass Menschen auf die Bedingungen, unter denen sie leben und arbeiten, Einfluss nehmen wollen (‚Kontrolle’ wird hier im psychologischen Sinne verwendet: Einfluss ausüben können, nicht Objekt fremder Einflüsse sein).
Menschen haben den tief verwurzelten Wunsch, nicht hilflos dem Willen eines Anderen ausgesetzt zu sein. Das Erleben, ohne einsichtigen Grund blindlings gehorchen zu müssen, hinterlässt bei den allermeisten Menschen ein sehr ungutes Gefühl und führt zu Rückzug und (wenigstens) innerlicher Verweigerung. Das Gefühl, für die eigenen Handlungen selbstverantwortlich zu sein, entsteht nicht.
Das Erlebnis, bei den eigenen Handlungen über Ziel und Weg mitbestimmt zu haben, ist dagegen mit Selbstachtung und Selbstbewusstsein verbunden und weckt in der Regel Initiative und Energie.
Was bedeutet das für die Führung? Wenn Vorgesetzte Aufgaben anbieten, die eigene Entscheidungen verlangen, dann können die Mitarbeitenden ihr Kontrollmotiv realisieren. Allerdings ist dieses Motiv anfällig, durch spezifische Erfahrungen verschüttet zu werden. Sind Menschen über längere Zeit in Arbeitsverhältnissen beschäftigt, die das Mitdenken und Mitentscheiden nicht verlangt (oder sogar verboten) haben, dann haben diese Menschen nicht die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist, Einfluss zu nehmen und dabei Erfolg zu haben. Auf der sichtbaren Oberfläche des Verhaltens wirkt das wie eine Scheu vor Verantwortung. Derartige Erfahrung einer jahre- oder gar jahrzehntelangen Berufsbiographie können nicht durch einen einmaligen Anlauf rückgängig gemacht werden.
Was ist der Zusatznutzen? Die Erfahrung, in der eigenen Arbeitssituation, gehört zu werden und Einfluss nehmen zu können, steigert das Selbstwertgefühl und vergrössert mittelfristig die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung.
Das Motiv 5: sinnvolle und vollständige Handlung
Wie zeigt sich das Motiv? Es ist für Menschen fast unmöglich, ziellos Handlungen auszuführen; Menschen haben einen tief sitzenden Wunsch, einen Sinn für das eigene Handeln zu erkennen zu können. Auch bei der Beobachtung anderer Menschen versuchen wir immer, den Grund für deren Verhalten zu eruieren; es ist für fast nicht vorstellbar, dass Menschen ‚sinnlos’ handeln. Wissen Mitarbeitende einerseits, wie ihre eigenen Teilaufgaben in das grössere Ganze eingebettet sind und sind sie andererseits davon überzeugt, dass das grössere Ganze zu einem anstrebenswerten Ziel führt, dann entsteht die Bereitschaft (die „Motivation“) selbst langweilige, unangenehme oder anstrengende Aufgaben zu übernehmen.
Gleichzeitig schätzen es die meisten Menschen, wenn erkenntlich ist, ob sie ihre eigene Teilaufgabe mit Erfolg, d.h. den Anforderungen entsprechend, abgeschlossen haben. Dies ist in der Regel dann erfüllt, wenn das eigene Ergebnis ein abgeschlossenes Produkt darstellt; zumindest sollte das eigene Arbeitsergebnis auf Qualitätsanforderungen prüfbar sein. Damit kann überprüft werden, ob das angezielte Ergebnis erreicht wurde.
Was bedeutet das für die Führung? Für Führungskräfte entsteht eine doppelte Anforderung: zum einen ist es eine Daueraufgabe, immer wieder zu klären, wie die Aufgaben einer Organisationseinheit zur Zielerreichung des Unternehmens beitragen und welcher Nutzen daraus für Kunden oder Klienten entsteht. Führungskräfte betreiben damit sogen. „Sinnstiftung“. Zum anderen haben sie bei der Gestaltung von Aufgaben dafür Sorge zu tragen, dass in sich geschlossene, ganzheitliche Aufgaben entstehen; dies umfasst in der Regel die Übertragung von Planungs-, Durchführungs- und Kontrollaufgaben (vgl. Motiv 4). Beachten Führungskräfte das AKV-Prinzip (Entsprechung von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung), haben sie einen wichtigen Schritt in diese Richtung unternommen
Was ist der Zusatznutzen? Mit der Gestaltung ganzheitlicher Aufgaben ermöglichen sie es den Mitarbeitenden, schon während der Bearbeitung Rückmeldung über den Prozessfortschritt zu erhalten und Abweichungen frühzeitig zu erkennen. Ebenso entstehen über die unmittelbare Rückmeldung Lern- und Korrekturmöglichkeiten (vgl. Motiv 3).
Gelingt den Führungskräften eine nachhaltige Sinnvermittlung, so steigern sie damit die Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen; die Überzeugung, in der richtigen Unternehmung gemeinsam mit Anderen an einem sinnvollen, wichtigen Vorhaben beteiligt zu sein ist eine starke Bindungskräfte mit grosser Motivationswirkung.