6 Was heisst dies für den Umgang mit Stress in der Fliegerei generell?

Die Erkenntnisse aus der Stress-Forschung insbesondere über die die Zusammenhänge von Stress resp. Aktivierungsniveau und Performance führen in der Fliegerei zu vielfältigen Massnahmen.

Beispiele sind das sinnvolle Priorisieren und Sequenzieren von Aufgaben, technisch, ergonomisch und psychologisch möglichst ideale Gestaltung sowohl von Flugzeug als auch Cockpit und z. B. Anzeigen, Checklisten sowie Abläufen. Empfehlungen, zu welchen Zeitpunkten z. B. nur tätigkeitsbezogen kommuniziert wird, die hohe Standardisierung von sequentiellen Briefings und Checklisten sind weitere Beispiele, wo und wie die Erkenntnisse in der Fliegerei Anwendungen finden. Ziele dieser Massnahmen und Anstrengungen sind:

  • das Eintreffen von potentiell stressende Situationen zu vermeiden.
  • die Arbeitsbelastung und damit das Aktivierungsniveau von Pilotinnen und Piloten auf einem „mittleren“, „idealen“ Mass zu halten.
  • die Anforderungen komplexer Aufgaben zu reduzieren.
  • die Leistungsfähigkeit (skills) der Pilotinnen und Piloten zu erhöhen.
  • durch Ausbildung das subjektive Stress-Erleben möglichst günstig zu beeinflussen.

Die verschiedenen Ziele werden dabei hauptsächlich mit zwei Ansätzen verfolgt: personenbezogene und umgebungsbezogene. In beiden Fällen wird versucht, Stress erzeugende Faktoren zu minimieren (Stressoren reduzieren)  und vor Stress schützende Faktoren zu maximieren (Ressourcen optimieren).

Personenbezogene Strategien zur Entwicklung von Stresskompetenz

Bei den personenbezogenen Strategien geht es darum, dass die Pilotinnen und Piloten einen idealen Umgang mit Stress entwickeln. Die vorliegenden Unterlagen wollen diesbezüglich beispielsweise Anregung geben.

Aber auch die Pilotenausbildung selbst ist – meist implizit – personenbezogen „desensibilisierend“ aufs Erleben von Stress ausgerichtet und versucht, personenbezogen Ressourcen zu optimieren:

  • Ausbildungen sind so aufgebaut, dass Pilotinnen und Piloten lernen können, die üblichen Aufgaben und Arbeiten im Cockpit mit einem für sie idealen Aktivierungsniveau zu erledigen.
  • Ein Teil der Ausbildungsbemühungen zielt zudem darauf ab, die Leistung resp. das Verhalten für spezifische Aufgaben so zu „stabilisieren“ und automatisieren, dass es auch trotz (zu) hohem Aktivierungsniveau weiterhin gezeigt wird (z. B. Notfall-Drills).
  • Indem Pilotinnen und Piloten in der Ausbildung und während den Weiterbildungen kontinuierlich schwierige und komplexe Aufgaben, darunter möglicherweise auch stressende Situationen, erfolgreich lösen, entwicklen sie ihre Bewältigungsstrategien für schwierige Situationen/ Aufgaben permanent weiter. Und sie bauen – so zumindest die Annahme – auch ihre Bewältigungszuversicht weiter auf.
  • Gerade letzteres, die Bewältigungszuversicht ist eine wichtige Ressource in der Frage, ob sich Piloten und Pilotinnen die Bewältigung von als stressend interpretierten Situationen zutrauen – und im positiven Fall dadurch die Stress-Reaktion unterbrechen können. 

Umweltbezogene Strategien zur Verminderung und/ oder Entschärfung von Stress-Situationen

Bei den umweltbezogenen Strategien profitieren Pilotinnen und Piloten von Massnahmen, die z. B. aufgrund technischer Entwicklungen beitragen, Stress-Situationen zu vermeiden. Sie nutzen zudem Regeln, Vorgaben und Verfahren, die darauf ausgerichtet sind, umweltbedingte Stressoren zu vermindern.

Beispiele dafür sind

  • Einbau redundanter Systeme (Hersteller)
  • Gestaltung ergonomischer Anzeigen und Abläufe im Cockpit
  • Erleichterung der Aufgaben durch technische Systeme (z. B. Auto-Pilot)
  • gedankliche Vorwegnahme resp. Strukturierung von Entscheidungsfindungen in Form von Checklisten etc. (Operator)
  • Arbeitsteilung, z.B.
    • Delegation bestimmter (kognitiver) Aufgaben ausserhalb des Cockpits (z. B. an Kabine,  Flugsicherung etc.)
    • „Multi-Crew-Concept“
  • Seqenzierung von Aufgaben, z. B. SOP
  • Training, (Simulator und Flight-Training) sowohl von SOP’s als auch Emergencies.

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